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Partizipation und politische Kontrolle

Das Spannungsfeld zwischen BürgerInnenmitbestimmung und repräsentativer Demokratie

Beitrag im Sammelband: Graf, Daniela, Breiner,Franz (Hg.): Projekt Österreich. In welcher Verfassung ist die Republik? Czernin, Wien 2005 --- Text als -->pdf

Wir würdigen – mit Recht – die Demokratie im Athen des fünften Jahrhunderts v.Chr. als Vorbild unserer heutigen Demokratie, und das Parlamentsgebäude in Wien bringt diese Würdigung sichtbar zum Ausdruck. Der historische Bezug enthält eine kleine Unschärfe: Anders als unser politisches System war Athen im Kern keine repräsentative, sondern eine direkte Demokratie: An der Volksversammlung („ekklesia") konnten alle berechtigten attischen Bürger[1] teilnehmen und es wird angenommen, dass an den etwa 40 Versammlungstagen im Jahr durchschnittlich zwischen 10% und 20% der Berechtigten – also zwischen 3.500 und 7.000, bei „heißen" Themen bis zu 10.000 Personen direkt mit ihrer Stimme über Gesetz und Recht, über Krieg und Frieden, u.v.a.m. entschieden. Die Leistungsfähigkeit der Demokratie haben die Griechen dabei ebenso kennengelernt wie ihre Schattenseiten, deren schlimmste – den Populismus – Aristophanes in den „Wolken" im rhetorischen Sieg des Unrechts über das Recht bloßstellt.[2]

Ihre theoretische Einsicht in demokratische Prozesse haben uns griechische Philosophen in vielen Gedanken und Bildern überliefert und eines dieser Bilder möchte ich hier an den Beginn meiner Überlegungen zur Bürgerbeteiligung stellen: „Wie ein Flötenerzeuger ist nämlich der Beherrschte, doch der Herrschende ist wie ein Flötenspieler, der das Instrument gebraucht.", meint Aristoteles in seiner „Politik"[3], und das lässt sich durchaus auf unsere repräsentative Demokratie übertragen: Die Legitimation für die Machtausübung (das „Instrument") und damit der Zugang zu den von der Verfassung vorgesehenen Instrumenten der politischen Gestaltung stammt von den Wähler/innen, die mittels dieser Macht umgesetzte Politik – die „Musik" – ist Aufgabe der Regierenden.

Aus dieser Sicht sind direktdemokratische Instrumente Gelegenheiten, in denen Bürger/innen ihr Instrument selbst in die Hand nehmen und ihre Musik ins Konzert einbringen. Daraus ergibt sich ein Spannungsfeld, und einige Aspekte dieses Spannungsfeldes möchte ich beschreiben, Möglichkeiten des Umgangs mit ihm aufzeigen und – zumindest teilweise – die Frage beantworten, ob in diesem Bereich der BürgerInnenmitbestimmung ein Reformbedarf besteht.

Meine Erfahrungen als Berater mit dem Thema Partizipation beziehen sich hauptsächlich auf die Gemeindeebene, wobei ich in diesem Bereich auch über einen gewissen Überblick über das rechtliche Instrumentarium verfüge und daher hauptsächlich vor diesem Hintergrund bzw. aus diesem Blickwinkel argumentiere. Bestimmte Grundmuster des „Spannungsfeldes" lassen sich meiner Meinung nach durchaus verallgemeinern, sodass ich hoffe, auch LeserInnen Material und Ideen anzubieten, die in anderen Bereichen tätig sind. Ich beginne mit zwei Beispielen kommunaler Volksbefragungen.

Beispiele

Off-Road-Trainingscenter Stotzing

Vor einigen Jahren wurde ich von einer burgenländischen Bürgerinitiative kontaktiert, die sich für die Erhaltung eines wichtigen Biotops im Gemeindegebiet von Stotzing einsetzte und gegen die vom Gemeinderat bereits beschlossene doch noch nicht aufsichtsbehördlich genehmigte Umwidmung der Stotzinger Heide auf „Grünfläche/Fahrtechnikzentrum" auftrat. Die Umwidmung sollte die rechtliche Grundlage für die Gründung eines Off-Road-Trainingscenters (insbesondere für Allradfahrzeuge) schaffen. Nach Analyse des direktdemokratischen Instrumentariums im Burgenländischen Volksrechtegesetz entschied sich die Initiative für die Einbringung eines Antrages auf Durchführung einer Volksbefragung.[4] Die Fragestellung lautete: „Soll sich der Gemeinderat von Stotzing für die Erklärung der Heide zwischen Stotzing und Loretto zum Landschaftsschutzgebiet einsetzen und die Umwidmung dieses Gebietes zum Off-Road-Trainingscenter zurücknehmen?" Die erforderliche Unterzeichnung durch 20% der Wahlberechtigten war rasch erreicht und der Antrag wurde beim Gemeindeamt eingebracht. Zur Unterstützung ihrer Forderung demonstrierte die Initiative vor dem Amt der Burgenländischen Landesregierung, die sowohl für die aufsichtsbehördliche Genehmigung der Flächenwidmungsplanänderung als auch für die Landschaftsschutz-Erklärung zuständig war.

Nach Einbringung dieses Antrages am Gemeindeamt setzte ein interessanter Prozess ein: Der Bürgermeister der Gemeinde Stotzing nahm Kontakt mit der Zustellbevollmächtigten auf und zeigte sich gesprächsbereit über die Anliegen der Initiative. Diese stellte verschiedene Bedingungen und zog nach deren Erfüllung den Antrag auf Durchführung einer Volksbefragung zurück. Die kritisierte Flächenwidmungsplanänderung wurde in weiterer Folge von der Landesregierung nicht genehmigt, eine Erklärung zum Landschaftsschutzgebiet erfolgte jedoch nicht. Das Gelände wird bis heute gelegentlich für Off-Road-Fahrevents genutzt, ein Trainingscenter mit regelmäßigem Fahrbetrieb wurde jedoch nicht errichtet.

Magna Teststrecke St. Valentin

Kurze Zeit später wurde ich in Niederösterreich mit einem anderen Fall konfrontiert. Das Problem erschien – rein äußerlich betrachtet – sehr ähnlich. In der Gemeinde St. Valentin gibt es ein wichtiges Erholungsgebiet, den Herzograder Wald. Viele Bürger/innen, die sich hier ein Haus gebaut haben, haben bewusst diese ruhige Region als ihr Zuhause ausgesucht – und waren einigermaßen aufgeschreckt, als die Firma MAGNA dieses Gelände ankaufte und die Umwidmung des Herzograder Waldes von Grüngebiet auf Betriebsbaugebiet/Teststrecke beantragte. Die Firma verwies darauf, dass durch das geplante Engineering Center eine Menge hochwertiger Arbeitsplätze in der Gemeinde geschaffen würden und dass die Teststrecke für die Umsetzung des Projektes unerlässlich sei. Das war für die Mehrheit des Gemeinderates – durchaus verständlich – eine sehr interessante Perspektive für die Gemeindeentwicklung. Ebenso verständlich, dass vor allem die betroffenen Bürger/innen die drohende Verschlechterung ihrer Wohnqualität nicht hinnehmen wollten. Sie formulierten eine Initiative für die Durchführung einer Volksbefragung[5] zur Widmung des Herzograder Waldes als Erholungsgebiet und erreichten rasch die dafür erforderliche Unterschriftenzahl (10%). Die für die Volksbefragung beantragte Fragestellung lautete: „Soll die bestehende Flächenwidmung – Grünland/Forstwirtschaft und Grünland/Landwirtschaft – für das Gebiet Herzograder Wald erhalten bleiben?" Aufgrund der ausreichend unterstützten Initiative war der Gemeinderat nun verpflichtet, eine Volksbefragung anzuordnen. Die nüchterne Formulierung der Fragestellung schien der Mehrheit des Gemeinderates jedoch ungenügend und so wurde im Gemeinderat parallel zu der von der Initiative erzwungenen die Durchführung einer weiteren Volksbefragung beschlossen mit folgender Fragestellung: „Soll vorbehaltlich einer positiven Raumverträglichkeitsprüfung und entsprechender Ersatzaufforstungen, ein Teil des Herzograder Waldes zur Erweiterung der bestehenden Prüfstrecke umgewidmet werden?"

In den Wochen vor dem Tag, an dem die beiden Volksbefragungen durchgeführt wurden, entwickelte sich eine einem Wahlkampf durchaus vergleichbare öffentliche Auseinandersetzung, in der von Seiten der Befürworter der Teststrecke das volle Repertoire professioneller Public Relations zum Einsatz kam, von der ganzseitigen Anzeige in den NÖN über einen Hochglanzprospekt an alle Haushalte mit Stellungnahmen prominenter Gemeindebürger für die Teststrecke bis hin zum Versprechen, am Standort St. Valentin 500 hochqualifizierte Arbeitsplätze für Ingenieure zu schaffen. Die Gemeinde unterstützte die Teststrecke durch Artikel in der Stadtzeitung und – symbolisch – wohl auch dadurch, dass über die Volksbefragung des Gemeinderates („pro Teststrecke") auf einem grünen Stimmzettel, über die Volksbefragung der Initiative („pro Grünwidmung") hingegen auf einem weißen Stimmzettel abzustimmen war.

Das Ergebnis der Volksbefragung war somit absehbar: Eine überwältigende Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen befürworteten die Umwidmung des Herzograder Waldes in eine Teststrecke. Die Umwidmung des Gebietes, das im Raumordnungsprogramm 1990 noch als „unbedingt zu erhalten" und „schützenswert" bezeichnet worden war, in eine Teststrecke wurde in weiterer Folge von einem Raumplaner als raumverträglich beurteilt und vom Gemeinderat beschlossen. Die Teststrecke ist bisher (knapp drei Jahre nach der Volksabstimmung) noch nicht errichtet worden. Im Engineeringcenter arbeiten derzeit (Standt Sept.2004) nach Auskunft der lokalen Grünen 200 Ingenieure.

Das Spannungsfeld

Die Spannung rund um Wald bzw. Heide entsteht in den beiden Beispielen aus dem Interessensgegensatz zwischen den Projektbetreibern (der Teststrecke bzw. des Fahrcenters) und den von den Projekten betroffenen BürgerInnen. Aufgabe der Politik ist die Entscheidung, welches Interesse aus der Sicht der Allgemeinheit wichtiger bzw. ob ein Kompromiss zwischen den widerstreitenden Interessen möglich ist. Mit der Einbringung des Verlangens auf Durchführung einer Volksbefragung nahmen die Bürgerinitiativen ihrerseits rechtliche Machtmittel in die Hand und treten als Konkurrenz zu den gewählten VolksvertreterInnen auf mit dem Anspruch, die Interessen der Allgemeinheit angemessener und treffender zu formulieren. Die Volksbefragung ist – mangels bindender Wirkung – kein rechtlicher, wohl aber ein politischer Eingriff in die Entscheidungsautonomie des Gemeinderates: Die Missachtung des Ergebnisses einer Volksbefragung kann zukünftige Wahlerfolge vereiteln, damit kommt ihm beachtliches Gewicht zu.

Welchen Sinn macht diese Konkurrenz, die hier durch direktdemokratische Instrumente zwischen den repräsentativen Organen der Gemeinde und der Bürgerinitiative geschaffen wird?

Die Instrumente der direkten Demokratie wirken als Machtkorrektiv, indem sie durch die Mobilisierung von WählerInnen Interessen einbringen und diesen Gewicht verleihen, die in der offiziellen Politik unberücksichtigt geblieben sind. Sie können auch als Rechtskorrektiv wirken, indem sie die Einhaltung rechtlicher Vorgaben, die gerade in Raumordnungsfragen mitunter beträchtlich unter Druck geraten können, einfordern.

Der Sinn direkter Demokratie liegt aber darüber hinaus in ihrer integrativen Funktion. Politik kann und darf nicht nur bürgernah, sie muss auch bürgerfern sein, da BürgerInnen-Interessen meist Einzelinteressen sind und selten alle Interessen befriedigt werden können. Die „Abgehobenheit" von Politik ist nicht immer Ausdruck menschlicher Mängel, sondern immer wieder auch unvermeidbar. Direktdemokratische Instrumente geben jenen, deren Interessen zu kurz kommen bzw. zu kurz kommen könnten, eine Chance, sich zu artikulieren und einen eigenständigen – von den gewählten PolitikerInnen unabhängigen – Versuch zur Durchsetzung ihrer Interessen zu starten. Die InitiatorInnen direktdemokratischer Instrumente haben keinen Rechtsanspruch auf Durchsetzung ihres inhaltlichen Anliegens, jedoch ein Recht darauf, ihr Anliegen wirkungsvoll zu thematisieren und eine Auseinandersetzung mit ihm zu erzwingen.

Eine besondere Beziehung – und manchmal auch ein Spannungsfeld – entsteht in direktdemokratischen Auseinandersetzungen zwischen oppositionellen Parteien und Bürgerinitiativen. Die MandatarInnen dieser Parteien dienen nicht selten als Brückenkopf ins Gemeindeparlament und als Informationskanal für die Bürgerinitiativen, die Bürgerinitiativen ihrerseits sind für Oppositionsparteien immer auch eine Gelegenheit, ihre politische Basis – sei es argumentativ, sei es personell – auszuweiten. Für Initiativen ist es meist von großer Bedeutung, als parteiunabhängig wahrgenommen zu werden. Für eine politische Partei ist eine Initiative, deren Anliegen sie nahe steht, immer auch als Rekrutierungspool für neue Mitglieder, MitarbeiterInnen und vor allem auch MandatarInnen interessant. Der Umgang mit diesem Spannungsfeld erfordert erhebliches Maß an Fingerspitzengefühl, um die Gefahr der Vereinnahmung und des – mitunter wechselseitigen – Missbrauchs zu vermeiden.

Kriterien für den demokratischen Umgang mit Spannungsfeldern

Eine besser integrierte Gesellschaft als Ergebnis demokratisch bewältigter Konflikte setzt allerdings nicht nur die Einhaltung rechtlicher Spielregeln, sondern auch ein bestimmtes Verhalten der Beteiligten als Ausdruck ihrer politischen Kultur voraus. Dieses Verhalten sollte an folgenden Kriterien orientiert sein:

Dialogfähigkeit: Harte Interessensgegensätze lösen in der Regel den Impuls aus, alle vorhandenen und zulässigen Machtmittel zur Durchsetzung des eigenen Standpunktes einzusetzen. Häufig ist damit auch ein Abbruch der Gesprächsbereitschaft mit dem Gegenüber und dessen Abwertung verbunden. Letztere ist vor allem ein Reflex von PolitikerInnen, die sich selbst durch die Konfrontation mit Bürgerinitiativen abgewertet fühlen. Dialogfähigkeit setzt aus diesem Blickwinkel vor allem Selbstbewusstsein voraus. Sie kann im Idealfall dazu führen, dass nach einer Niederlage eines der beteiligten Teile zumindest der Eindruck einer fairen Auseinandersetzung zurückbleibt.

Festigkeit: Wer ein politisches Amt antritt, übernimmt eine gesellschaftliche Führungsaufgabe. Das Recht von BürgerInnen, Amtsträger und deren Politik zu hinterfragen, kann nicht heißen, dass PolitikerInnen nach allen Seiten hin biegsam und wendig zu sein haben. Und die geforderte Dialogfähigkeit setzt nicht voraus, dass man den eigenen Standpunkt aufgeben muss. Festigkeit bedeutet, an einer Haltung, die man nach reiflicher Überlegung eingenommen hat, auch festzuhalten, wenn man öffentlich angegriffen wird. Nicht selten wird das von WählerInnen geschätzt und honoriert, sobald die Angriffswelle abgeklungen ist.

Ermutigung zu politischem Engagement: Als drittes Verhaltenskriterium für den Umgang mit direktdemokratischen Initiativen möchte ich folgenden Imperativ für die InhaberInnen politischer Ämter formulieren: „Verhalte dich in Konflikten mit Bürgerinitiativen so, dass diese aus der Auseinandersetzung mit dir zumindest eine kleine Ermutigung zu politischem Engagement mitnehmen." Nicht jede Begegnung kann für alle Beteiligten ermutigend sein und Frustrationen sind in der Politik wohl kaum zu vermeiden. Eine respektvolle Auseinandersetzung hinterlässt in der Regel jedoch bei dem, der sie verliert, weniger Frustration als wenn über eine Initiative mit der Walze drübergefahren wird.

Bedeutung rechtlicher Instrumente

Es ist natürlich denkmöglich, dass die Volksbefragung im Beispiel der MAGNA Teststrecke das gleiche Ergebnis gebracht hätte, wenn Stadtzeitung und Zeitungsinseraten jeweils zu gleichen Teilen Informationen der Befürworter und Gegner der Teststrecke enthalten hätte und wenn der Stimmzettel für die Grünwidmung grün und jener für die Teststrecke weiß gewesen wäre und nicht umgekehrt. Die äußeren Umstände dieser Volksabstimmung haben allerdings doch bei einigen die Frage aufgeworfen, welchen Sinn die Erzwingung einer Volksbefragung haben kann, wenn die Darstellungsmöglichkeiten der beiden Seiten so unterschiedlich sind. Auch Peter Weihs als Zustellbevollmächtigter des Gentechnikvolksbegehrens (1,26 Millionen UnterzeichnerInnen, 22% der Wahlberechtigten) bezeichnet die Beratungen über das Volksbegehren in der Abweichenden Stellungnahme zum Ausschussbericht[6] als gescheitert. Als Erfolg wertete er die große Zahl an außerparlamentarischen Initiativen und die internationale Signalwirkung, nicht jedoch das Ausmaß der durchgesetzten rechtlichen Maßnahmen.

Dazu eine interessante Beobachtung[7] von Peter Gerlich, der schreibt: „In einer durch die Rechtswissenschaften geprägten institutionellen Betrachtungsweise, wie sie in Österreich üblich ist, wird Demokratiequalität vor allem darin gesehen, dass formal demokratische Verfahrensabläufe vorhanden sind. Diese können aber keineswegs eine hohe Demokratiequalität dieser Einrichtungen garantieren. Worauf es ankommt, ist ein ‚demokratischer Geist', eine Bereitschaft, die formalen Regeln auch mit praktischem politischen Leben zu erfüllen." Gerlich vergleicht aufgrund seiner persönlichen Erfahrung die durch die Reformen der 70er und 80er Jahre „demokratisierte" österreichische Universität mit US-amerikanischer Universitäten. Trotz der autoritären Führungsstrukturen dieser Universitäten wurden in der Praxis sehr wohl demokratische Beratungsabläufe durchgeführt, wohingegen die Beratungsabläufe an österreichischen Universitäten in der Praxis oft genug wenig demokratische „Abstimmungsmaschinerien" gewesen seien. Die gelebte Demoratie ist die beste, ihre formelle Ausgestaltung ist sekundär, das meint Gerlich offenbar und das scheinen auch die eingangs geschilderten Beispiele zu belegen.

Reformpunkt Volksentscheid

Im Rahmen des Verfassungskonvents haben die Grünen vorgeschlagen, auf Bundesebene einer von 100.000 Wahlberechtigten unterzeichneten Initiative das Recht einzuräumen, die Durchführung einer Volksabstimmung über einen Gesetzesbeschluss des Nationalrates zu verlangen. Es ist dies der markanteste Vorschlag zum Ausbau der direkten Demokratie, der dem Verfassungskonvent vorliegt, und jener, der das stärkste Spannungsfeld zur repräsentativen Demokratie erzeugt.[8]

In zwei Bundesländern sind Vetoreferenden gegen Gemeinderatsbeschlüsse möglich. Die Rechtslage und die mir bekannten Anwendungsfälle werden im folgenden kurz dargestellt.

Volksabstimmung über Gemeinderatsbeschlüsse (Vetoreferenden)

Sowohl in der Steiermark als auch im Burgenland können Bürger/innen-Gruppen ab einer bestimmten Stärke versuchen, das Inkrafttreten eines Gemeinderatsbeschlusses durch eine Volksabstimmung zu verhindern. In beiden Bundesländern ist die Unterstützung eines entsprechenden Verlangens durch 25% der Stimmberechtigten erforderlich, wobei im Burgenland binnen einer Woche durch eine von 5% der Stimmberechtigten unterschriebene Anzeige bekanntzugeben ist, dass die Einbringung eines Verlanges auf Durchführung einer Volksabstimmung beabsichtigt ist. Durch die Einbringung der Anzeige wird das Inkrafttreten des Gemeinderatsbeschlusses blockiert. Können die erforderlichen Unterschriften binnen drei Monaten gesammelt werden, so hat der Gemeinderat eine Volksabstimmung anzuordnen. Nehmen an dieser Volksabstimmung mindestens 40% der Stimmberechtigten teil und lehnt eine Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen das Inkrafttreten des Gemeinderatsbeschlusses ab, so darf dieser nicht umgesetzt werden. Das Verfahren in der Steiermark weicht davon insofern ab, als das Anzeigeverfahren entfällt und es hinreicht, wenn innerhalb von drei Monaten ab Kundmachung des Beschlusses ein Verlangen mit der geforderten Unterstützung eingebracht wird. Eine Mindest-Wahlbeteiligung ist nicht erforderlich. Allerdings kann der Gemeinderat seine Beschlüsse für dringlich erklären, wodurch sie ungeachtet eines allenfalls eingeleiteten Verfahrens zur Erzwingung einer Volksabstimmung vollzogen werden können. Werden solche Beschlüsse in weiterer Folge bei der Volksabstimmung von den Gemeindebürger/innen mehrheitlich abgelehnt, so treten sie binnen eines Jahres ab Kundmachung des Ergebnisses der Volksabstimmung außer Kraft, ebenso Verordnungen, die sich auf diesen Gemeinderatsbeschluss stützen. Ausgeschlossen von der Durchführung eines Vetoreferendums sind im Burgenland Wahlen der Gemeindeorgane, konkrete Personalfragen, Gemeindeabgaben,Tarife und Angelegenheiten, die Bescheide erfordern, in der Steiermark konkrete Personalfragen, Wahlen und Entscheidungen, die bestimmte Personen betreffen.

In der Steiermark ist mir eine von oppositionellen Parteien getragene Initiative[9] bekannt, die die erforderlichen 25% der Wahlberechtigten für die Durchführung einer Volksabstimmung gegen einen Gemeinderatsbeschluss erreichen konnte und das Ziel verfolgte, ein bestimmtes Konzept der Sanierung des städtischen Hallenbades zu Fall zu bringen. Die Initiative scheiterte aus formellen Gründen, weil der bekämpfte Gemeinderatsbeschluss eine Darlehensvergabe und damit eine konkrete Person (den Darlehensgeber) zum Gegenstand hatte (Anzumerken ist, dass alle projektrelevanten Beschlüsse Auftragsvergaben zum Gegenstand hatten und dadurch das Volksabstimmungsrecht der BürgerInnen in diesem Fall erfolgreich unterlaufen wurde).

In einem anderen steirischen Fall[10] gelang es einer von zwei oppositionellen Parteien getragenen Initiative, die erforderliche Unterschriftenzahl für eine Initiative gegen einen Gemeinderatsbeschluss zur Aufhebung der Fußgängerzone am Stadtplatz zu sammeln. In diesem Fall fand die Volksabstimmung auch tatsächlich statt, doch bestätigte die Mehrheit der Wahlberechtigten den Gemeinderatsbeschluss.

In einem Anwendungsfall im Burgenland setzte eine Bürgerinitiative[11] eine Volksabstimmung gegen eine Reihe von Gemeinderatsbeschlüssen durch, die die Ansiedlung einer Glasfabrik im Dorf ermöglichen sollten. Bei der Volksabstimmung wurden die Gemeinderatsbeschlüsse mit knapper Mehrheit bestätigt. Das Projekt Glasfabrik wurde vom Projektbetreiber jedoch in weiterer Folge fallengelassen – dem Vernehmen nach wegen fehlender finanzieller Mittel. Der Fall ist insofern interessant, als das Abstimmungsergebnis angefochten wurde. Die Anfechtung wurde vom Zustellbevollmächtigten der im Gemeinderat der betreffenden Gemeinde vertretenen Grünen eingebracht, eine im Anschluss an das administrative Anfechtungsverfahren eingebrachte VfGH-Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof jedoch zurückgewiesen. Hintergrund der Zurückweisung ist der Umstand, dass die Erledigung einer Anfechtung laut Gemeindevolksrechtegesetz durch Bescheid zu erfolgen hat, die Anfechtung von Bescheiden jedoch nur wegen Verletzung subjektiver Rechte möglich ist, die einem Zustellbevollmächtigten als Vertreter seiner Partei jedoch nicht zukommen. Immerhin wurde durch diese Entscheidung klar, dass hier – zumindest was die burgenländische Rechtslage anlangt – ein Rechtsschutzdefizit zu bestehen scheint.

Repräsentativ-demokratisches Baugesetz und direkte Demokratie

Die Vorarlberger Landesverfassung enthielt bis zum Jahr 2001 die Regelung, dass ein von 20% der Wahlberechtigten unterzeichnetes Landesvolksbegehren zwingend einer Volksabstimmung zu unterziehen sei, wenn der Landtag es ablehne, dem Volksbegehren Rechnung zu tragen. Für den Fall einer Annahme des Volksbegehrens durch die Mehrheit der Wahlberechtigten schrieb die Landesverfassung vor, dass der Landtag verpflichtet sei, einen dem Volksbegehren inhaltlich entsprechenden Gesetzesbeschluss zu fassen.

Aus Anlass der Bekämpfung eines Bescheides, mit dem ein Antrag auf Einleitung eines Volksbegehrens abgewiesen worden war, beschäftigte sich der Verfassungsgerichtshof mit dieser Regelung. Er kam dabei zu der Erkenntnis, dass diese Form der Volksabstimmung in Vorarlberg die Grenze des repräsentativ-demokratischen Baugesetzes unserer Bundesverfassung überschreite. Im Gesetzesprüfungsverfahren hatten die Kärntner und Vorarlberger Landesregierung die Auffassung vertreten, dieses Baugesetz enthalte durchaus auch direktdemokratische Elemente, die erst dann das Prinzip der repräsentativen Demokratie verletzen würden, wenn durch sie Volksentscheide zum Normalfall würden. Das könne aber nur dann eintreten, wenn das vom Volk gewählte Parlament regelmäßig Gesetze beschließe, die dem Volkswillen widersprächen – was schon allein aufgrund der periodisch stattfindenden Wahlen ausgeschlossen sei. Bemerkenswert ist, dass der Verfassungsgerichtshof seine enge Sicht des repräsentativ-demokratischen Baugesetzes der Bundesverfassung ausschließlich auf das Verfassungsverständnis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundes-Verfassungsgesetzes stützt und sich mit dieser historischen Interpretation die Möglichkeit einer zeitgemäßen Interpretation unseres Demokratiemodells genommen hat. Anzumerken ist weiters, dass der Verfassungsgerichtshof diese Sichtweise – ohne dass der Anlassfall dies erfordert hätte – ausdrücklich auch auf das Vetoreferendum bezieht.

Auf Grund dieses Erkenntnisses ist davon auszugehen, dass auch ein Vetoreferendum nur durch ein Bundesverfassungsgesetz mit nachfolgender Bestätigung durch eine Volksabstimmung eingeführt werden kann. Angesichts der Konsequenz, mit der der Verfassungsgerichtshof seine Position argumentiert, ist nicht auszuschließen, dass die oben dargestellten Regelung kommunaler Vetoreferenden im Falle eines Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof aufgehoben werden wird (wobei burgenländische Vetoreferenden aufgrund des aufgezeigten Rechtsschutzdefizits[12] wohl kaum vor dem Verfassungsgerichtshof landen werden).

Politische Einschätzung der Praxis direkter Demokratie und aktueller demokratiepolitischer Handlungsbedarf

Die Instrumente, die ich hier näher behandle und die sich dadurch kennzeichnen, dass sie die Entscheidungsfindung einer parlamentarischen Mehrheit durch eine eigenständige außerparlamentarische Initiative herausfordern bzw. eine getroffene Entscheidung bekämpfen, kommen in der politischen Praxis äußerst selten zum Einsatz. In den meisten Fällen, die mir bekannt sind, geht die Initiative selbst unmittelbar auf eine im Gemeinderat vertretene politische Partei zurück oder wird von ihr unterstützt.

Dazu vorweg meine Position: Ich bin nicht der Ansicht, dass die Initiierung eines direktdemokratischen Instruments durch eine politische – im Regelfall: oppositionelle – Partei einen Missbrauch darstellt. Die Auffassung, dass gewählte MandatarInnen ohnehin die Möglichkeit des parlamentarischen Antrags zur Verfügung steht, verkennt, dass solche Anträge aus der Sicht der Mehrheit nicht selten völlig unerheblich sind und ihre Ablehnung in keinster Weise ein Problem darstellt. Ganz anders ist dies, wenn das betreffende Anliegen mittels eines direktdemokratischen Instruments vorgebracht wird, das von einer großen Zahl von BürgerInnen unterstützt wird. Wem ein Anliegen wirklich wichtig ist, der wird auf die Möglichkeit der Mobilisierung von WählerInnen nicht verzichten oder – anders formuliert – seinen Wählerauftrag so verstehen, dass dieser im Bedarfsfall auch den Rückgriff auf direktdemokratische Instrumente mitumfasst.

Die starke Präsenz politischer Parteien im Bereich der direkten Demokratie ist dennoch Anlass für kritische Fragen: Was hindert Menschen daran, ihre Bedenken gegen unliebsame politische Vorhaben ihrer VolksvertreterInnen ohne Hilfestellung und ohne Mobilisierungsaktionen politischer Parteien eigenständig vorzubringen und die dafür vorgesehenen direktdemokratischen Instrumente zu benutzen? Einen Teil der Antwort hat uns Fred Sinowatz gegeben: Es ist alles kompliziert. Tatsächlich setzt die Inanspruchnahme direktdemokratischer Instrumente eine Fülle von Kompetenzen voraus: rechtliches und fachspezifisches Wissen, Kompetenz im Umgang mit Öffentlichkeit, ausreichende Freizeit für unentgeltliches politisches Engagement, u.v.a.m. Darüber hinaus setzt ein erfolgreiches Engagement voraus, dass man ein Thema anspricht, das in irgendeiner Weise populär ist oder zumindest interessant dargestellt werden kann. Last but not least ist auch der Zugang zu finanziellen Mitteln eine entscheidende Frage.

Thomas Jefferson hat 1787[13] aus Anlass einer Bauernrevolte gemeint: „Gott behüte, dass wir jemals 20 Jahre ohne eine solche Rebellion sein werden. ... Welches Land kann seine Freiheiten bewahren, wenn seine Herrscher nicht von Zeit zu Zeit gewarnt werden, dass [die] Leute den Geist des Widerstands bewahren." Direktdemokratische Instrumente sind eine Möglichkeit, die in jeder Gesellschaft unvermeidlichen Spannungen zu artikulieren, und geben jenen, die sich schlecht vertreten fühlen, „Waffen" für eine zivilisierte Form des Widerstands an die Hand. Wer direkte Demokratie ernsthaft fördern will, der sollte auch und vor allem Maßnahmen zur Förderung des Gebrauchs der bereits derzeit gegebenen Instrumente ansetzen.

Die weitverzweigte und ausdifferenzierte Struktur der Erwachsenenbildung könnte dafür konkretere Angebote formulieren als das bisher der Fall ist. Vonnöten sind Bildungsveranstaltungen, die aktuelle Konfliktthemen aufgreifen, dazu Hintergrundwissen vermitteln und Möglichkeiten, die eigene Mitbestimmungs-Kompetenz durch die Aneignung rechtlichen Wissens und Lernmöglichkeiten im Umgang mit Öffentlichkeit zu verbessern. Das ist insofern nicht gerade leicht, da die Institutionen der Erwachsenenbildung traditionell über Vereinsvorstände und Subventionen mit dem politischen System verschränkt sind. Voraussetzung politischer Bildung in diesem Sinne wären somit auch PolitikerInnen, die mit der Gelassenheit eines Thomas Jefferson auch „little rebellions" begrüßen können, die sich gegen die von ihnen forcierten Projekte richten.

Darüber hinaus sollte auch eine unangenehme Erkenntnis weiter verbreitet werden, dass politische Beteiligung Geld kostet. Man sollte diesbezüglich durchaus auch über staatliche Finanzierungsmodelle nachdenken (etwa in der Form, dass direktdemokratische Initiativen im Ausmaß des Anteils ihrer UnterstützerInnen an der Zahl der Wahlberechtigten Geld zur Finanzierung politischer Bildungsmaßnahmen erhalten sollten). Es ist aber unerlässlich, politische Beteiligung auch durch Spendengelder zu finanzieren. Wer eine direktdemokratische Kampagne plant, sollte daher rechtzeitig dran denken, Spenden zu sammeln. Ein gutes Anliegen vorausgesetzt wird er dafür auch die nötige Bereitschaft seiner UnterstützerInnen finden.

Zusammenfassung: Thesen zur direkten Demokratie

Im Folgenden etwas abschließend einige Thesen zur direkten Demokratie in Österreich:

1. Die Einführung eines Vetoreferendums wäre ein interessanter und begrüßenswerter Schritt zur Erweiterung des direktdemokratischen Instrumentariums. Ihre Einführung wäre allerdings nur durch eine Verfassungsänderung mit nachfolgender Volksabstimmung möglich.

2. Wirkungsvoller als die Einführung neuer Instrumente direkter Demokratie ist die Förderung ihres praktischen Gebrauchs.

3. Direkte Demokratie erfordert vielfältige Komeptenzen und ist gleichzeitig eine Möglichkeit, sich diese Kompetenzen anzueignen. Entsprechende Bildungsangebote sollten unmittelbar auf aktuelle politische Streitfragen hinorientiert werden. Direktdemokratische Initiativen sollten Bildungsgelder in jenem Ausmaß abrufen können, der der anteilsmäßigen Berücksichtigung der Zahl ihrer UnterstützerInnen an der Gesamtzahl der Wahlberechtigten entspricht.

4. Ein wesentlicher Beitrag zur politischen Kultur liegt in einem positiven Umgang mit Bürgerinitiativen. Dieser erfordert von politischen Amtsträgern die Fähigkeit zum Dialog, Standfestigkeit im Umgang mit politisch Andersdenkenden und die Bereitschaft, politisches Engagement auch dort zu ermutigen, wo es nicht auf der eigenen Linie liegt.

5. Politische Beteiligung kostet Geld. Wer sich ernsthaft beteiligen will, sollte die Spendenbereitschaft seiner UnterstützerInnen konsequent ansprechen.

6. Demokratie braucht Handlungsspielräume. Der teilweise dramatische Wettbewerb um Betriebsansiedlungen reduziert diese Handlungsspielräume insbesondere auf Gemeindeebene dramatisch.

7. Demokratie braucht Information: Die geplante Neuformulierung und Liberalisierung der Amtsverschwiegenheit[14] durch den Verfassungskonvent ist der bedeutendsten Rückenwind für politische Mitbestimmung seit Einführung der Auskunftspflicht im Jahr 1988.

8. Direkte Demokratie ist für sich genommen keine Gefahr für Menschenrechte, sie kann allerdings eine erhöhte Herausforderung mit sich bringen, sich etwa mit rassistischen Tendenzen auseinanderzusetzen. Eine Missachtung dieser Herausforderung ist gefährlich, ob es nun mehr oder weniger direktdemokratische Instrumente gibt.

Anhang: Die Besetzung von Richterstellen am Verfassungsgerichtshof als Schlüsselaufgabe der Zivilgesellschaft

Ich möchte hier noch eine Reformidee anschließen, die ein sehr selten und sehr wenig diskutiertes jedoch hochbrisantes Thema betrifft, die Nachbesetzung von Richterstellen am Verfassungsgerichtshof.

In den letzten Jahren ist viel von der Zivil- bzw. Bürgergesellschaft die Rede, deren Wichtigkeit und Bedeutung unbestritten ist. Demokratiepolitisch interessant ist sie vor allem als Gegenüber des etablierten politischen Systems, als gesellschaftlicher Bereich, der in die Mechanismen der Machtausübung, in die unterschiedlichen politischen Arrangements und auch in die Blockbildungen der politischen Landschaft nicht oder nur in geringem Ausmaß eingebunden ist.

Ich bin der Ansicht, dass diese Eigenschaften die Zivil- bzw. Bürgergesellschaft in hervorragender Weise für die Besetzung von Richterstellen am Verfassungsgerichtshof qualifiziert. Diese Aufgabe wird derzeit von Regierung und Parlament wahrgenommen und ist damit uneingeschränkt in der Hand der politischen Parteien. Politische Parteien haben ein sehr spezielles Interesse an der Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit, das auch – durchaus veständlich – machtpolitische Interessen mit einschließt. Dazu kommt, dass die politischen Arrangements zwischen den Parteien über die Aufteilung der Richterstühle am Gerichtshof diesen parteipolitischen Einfluss insofern verstärken, als jeweils einer Partei das Vorschlagsrecht überlassen wird, ohne dass sich die anderen Parteien einmischen. Durch die Übertragung der Erarbeitung der Ernennungsvorschläge für Verfassungsrichter an die Vertreter der Zivilgesellschaft könnte parteipolitischer Einfluss weitgehend zurückgedrängt werden. Darüber hinaus hätten Institutionen eine Chance der Mitwirkung, die in ihrer Tätigkeit große Erfahrung mit Rechtschutzproblemen haben.

Die Regelungsmodell der direkten Demokratie – nämlich die Gewährung von Mitbestimmungsrechten ab einer bestimmten Anzahl von UnterstützerInnen – bietet sich hier als Instrument an, die Zivil- und Bürgergesellschaft für diese Aufgabe fassbar zu machen. Mein Vorschlag[15] – den ich hier verkürzt darstelle – lautet:

Vorschläge für die Nachbesetzung von Richterstellen am Verfassungsgerichtshof werden durch einen Nominierungsausschuss erarbeitet. Jede gemeinnützige Institution, die seit mindestens fünf Jahren tätig und als juristische Person konstituiert ist, hat das Recht, Personen in einen Nominierungsausschuss zu entsenden. Die Entsendung ist rechtswirksam, wenn sie von mindestens 1000 Personen unterstützt wird, die das Wahlrecht für den Gemeinderat ihrer Wohnsitzgemeinde besitzen.

Die rechtlichen Voraussetzungen für die Bewerbung um eine Richterstelle am Verfassungsgerichtshof bleiben gleich wie bisher. BewerberInnen müssen das Studium der Rechtswissenschaften abgeschlossen haben und bereits durch mindestens zehn Jahre eine Berufsstellung bekleidet haben, für die die Vollendung dieser Studien vorgeschrieben ist. Die Stellen der/des Präsident/in, Vizepräsident/in und sechs weiterer Mitglieder sind aus dem Kreis der Richter/innen, Verwaltungsbeamten und Professoren/Professorinnen eines rechtswissenschaftlichen Faches an einer Universität zu besetzen.

Der Nominierungsausschuss erstattet nach Durchführung von öffentlichen Hearings mit allen Bewerber/innen einen Dreiervorschlag an den Bundespräsidenten/die Bundespräsidentin. Die in diesen Vorschlag aufgenommenen Bewerber/innen sind in jener Reihenfolge aufzulisten, die nach Auffassung des Nominierungsausschusses ihrer Eignung für die zu besetzende Richterstelle entspricht.

Werden weniger als fünf Personen für den Nominierungsausschuss namhaft gemacht, so kann er nicht konstituiert werden. In diesem Fall fällt die Aufgabe der Besetzung der betreffenden Richterstelle an den Bundespräsidenten, der vor seiner Entscheidung ebenfalls ein öffentliches Hearing durchzuführen hat.

Schlussbemerkung

Politik hat auch eine ästhetische Komponente: Die Fernsehbilder aus der Ukraine übermitteln uns jetzt anfangs Dezember 2004 die Nachricht, dass es den Menschen dort gelungen ist, die Wiederholung einer gefälschten Wahl durchzusetzen. Diese Nachricht ist „schön", nicht nur wegen der orangenen Tücher, die die DemonstrantInnen auf den Straßen Kiews schwenken, sondern weil der Wille und die Entschlossenheit des Menschen, sich frei und unabhängig an politischen Entscheidungen zu beteiligen, zu seinen besten Eigenschaften gehört, und weil es schön ist, wenn sich dieser Wille gegen seine Unterdrücker durchsetzen kann.

In seiner Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele hat Wolfgang Schüssel heuer Hannah Arendt zitiert und ihre Idee, dass die höchste Aufgabe des Staatsmanns die Schaffung von Schönheit sei. Die direkte Demokratie hat dieselbe Aufgabe, jedenfalls hat es Ende der 80er Jahre in einem grünen Parteiprogramm etwas allgemeiner als bei Hannah Arendt und Wolfgang Schüssel geheißen: „Ziel aller Politik ist die Schönheit" – egal wer musiziert, die Regierenden oder die Flötenmacher selbst, um im Bild von Aristoteles zu bleiben. In diesem Sinne wünsch ich mir eine blühende Initiativenlandschaft, PolitikerInnen, die mit Initiativen souverän umgehen können – und ein „schönes" Verfahren zur Bestellung von Verfassungsrichtern.


[1] Nicht berechtigt waren insbesondere Frauen und Sklaven. Siehe Carl W. Weber, Aufstieg und Größe des antiken Stadtstaates Athen, Düsseldorf und Wien 1979, insb. S.274ff

[2] Aristophanes, Die Wolken, Stuttgart 1963, 888 - 1110

[3] Aristoteles, Politik. Stuttgart 1989, Drittes Buch, 1277b

[4] § 49b bgld Gemeindeordnung sowie die §§ 8 – 42 bgld Gemeindevolksrechtegesetz

[5] §§ 16 und 16b sowie 63 nö Gemeindeordnung

[6] Abgedruckt in 111 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen der Sitzungen des Nationalrates in der XX. Gesetzgebungsperiode, S. 13ff

[7] Gerlich, Peter: Öffentlichkeit, Zugänglichkeit, Kontrolle, S.48, in: Campbell, David. F.J., Liebhart, Karin, Martinsen, renate, Schaller, Christian, Schedler, Andreas (Hg): Die Qualität der österreichischen Demokratie. Wien 1996.

[8] Gegenstück des Vetoreferendums ist das Initiativreferendum, nämlich die Erzwingung einer Volksabstimmung über einen von einem Volksbegehren vorgeschlagenen Gesetzestext. Die Einführung eines Vetoreferendums wäre nach meiner Auffassung problematisch, da die Durchführung eines sinnvollen Beratungsprozesses nur dort möglich ist, wo ein Kompromiss zwischen Volksvertretung und Volksbegehren erreicht wird, d.h. eine Volksabstimmung nicht notwendig ist. Darüber hinaus erhebt sich die Frage, wann und wie vom Volk durchgesetzte Gesetze wieder aufgehoben werden können. Gibt es dafür keine Schranken, so ist das Instrument nichts wert, gibt es Schranken, so werden dadurch negative Konsequenzen des fehlenden Beratungsprozesses potenziert.

[9] Eisenerz, Frühjahr 2004, Initiative von ÖVP, Grünen und KPÖ

[10] Mürzzuschlag, 3.10.2004, Volksabstimmung über die Umwandlung der Fußgängerzone in eine Wohnstraße, auf Initiative von Grünen und KPÖ

[11] Bürgerinitiative Lebenswertes Nickelsdorf, Volksabstimmung am 2.11.2003

[12] siehe oben S.10!

[13] Brief an William S. Smith vom 13. November 1787, Text auf den Internetseiten des Department of Humanities Computing der Universität Groningen (Stand 5.12.2004), URL: http://odur.let.rug.nl/~usa/P/tj3/writings/brf/jefl64.htm

[14] Siehe Bericht des Ausschusses VIII des Verfassungskonvents, URL: http://www.konvent.gv.at/pls/portal/url/page/K/DE/AUB-K/AUB-K_00009/ vom 13.5.2004 und den ergänzenden Bericht vom 19.11.2004 URL: http://www.konvent.gv.at/portal/page?_pageid=905,734442&_dad=portal&_schema=PORTAL

[15] Die ausführliche Darstellung des Vorschlags ist auf http://politiktraining.at/aktuell/vfgh.htm zu finden.