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Die Mehrheitsregel ist im demokratischen Normalfall eine der plausibelsten Grundregeln der Demokratie. Das Problem: Der Normalfall kommt der Demokratie mitunter abhanden, wie derzeit im Bundesland Kärnten. Nebenregeln erhalten in solchen Fällen eine besondere Bedeutung.
Bekanntlich verlangt die Kärntner Landesverfassung für die Wahl des Landeshauptmanns die Anwesenheit von mindestens zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages. Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen auf sich vereint.
Ist die Wahl des Landeshauptmanns zweimal auf der Tagesordnung einer Landtagssitzung gestanden und konnte sie beide Male wegen mangelhafter Anwesenheit nicht durchgeführt werden, so reicht beim nächsten Wahlgang die Anwesenheit von bloß der Hälfte der Mitglieder des Landtages.
Theoretisch könnte der Landeshauptmann somit bei Anwesenheit von 18 mit den Stimmen von 10 Abgeordneten gewählt werden (Der Kärntner Landtag besteht aus 36 Abgeordneten).
Die taktischen Möglichkeiten, die sich daraus aktuell für die im Kärntner Landtag vertretenen Parteien ergeben, sind bekannt und werden heftig debattiert. Weniger bekannt ist die Regelung des Mißtrauensvotums gegen Mitglieder der Kärntner Landesregierung. Nach Artikel 55 des Landesverfassungsgesetzes kann der Landtag der Landesregierung oder einzelnen ihrer Mitglieder durch Beschluß das Vertrauen entziehen. Ein solches Mißtrauensvotum kann nur in Anwesenheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages gefaßt und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden.
Diese Barriere gegen das Mißtrauensvotum findet sich auch in den Landesverfassungen von Ober- und Niederösterreich, abgewandelt auch in der Steiermark. Sie muß wohl als Produkt eines ausgeprägten Sicherheitsdenkens der traditionellen Mehrheiten interpretiert werden. Die Salzburger haben mit ihrer jüngsten Verfassungsreform auch in diesem Punkt einen Modernisierungsschritt getan und sind beim Mißtrauensvotum von der Zweidrittel-mehrheit auf die einfache Mehrheit gewechselt.
In der Praxis kommt es außerordentlich selten zu erfolgreichen Mißtrauensvoten. Der einzige, breiter bekannte Fall ist das Mißtrauensvotum gegen den Kärntner Landeshauptmann Haider im Jahr 1991. Seine besondere Wirkung entfaltet dieses Instrument unserer Verfassungen präventiv, indem Regierungsmitglieder ihr Verhalten im Hinblick auf die Regelungen über ihre Abwahlmöglichkeiten so festlegen, daß das Vertrauen der erforderlichen Landtagsmehrheit erhalten bleibt.
Wird Jörg Haider - auf welche Weise auch immer - zum Landeshauptmann von Kärnten gewählt, so hat er diesbezüglich eine luxuriöse Ausgangslage und könnte sich ab dem Zeitpunkt der Wahl jeden politischen "Ausrutscher" leisten, der ihm gerade Spaß macht. Seine 16 Abgeordneten können ein Mißtrauensvotum entweder durch Abwesenheit von der Abstimmung oder durch schlichtes Dagegenstimmen vereiteln. (Von den anderen Landtagsfraktionen verfügt übrigens keine für sich allein über eine derartige Sperrminorität. Ein Landeshauptmann der SPÖ oder der ÖVP könnte ein Mißtrauensvotum nur mit Hilfe einer anderen Partei abwehren).
Es mag manches dafür sprechen, Haider zum Landeshauptmann zu wählen oder eine solche Wahl zu ermöglichen. Unerträglich aber wäre es, wenn der Mehrheit des Landtages in diesem Fall keine Möglichkeit einer wirksamen Kontrolle zur Verfügung stünde. Das Machtdenken der Vergangenheit hat die heutigen Minderheitsparteien in Kärnten allerdings eingeholt: Eine Reform der Landesverfassung ist heute nur mehr mit Zustimmung der FP möglich. Und ob Haider freiwillig die Latte des Mißtrauensvotums niedriger hängt, ist im Hinblick auf seine Erfahrung mit diesem Instrument wohl kaum anzunehmen.
Dr. Karl Staudinger, freiberuflicher Politiktrainer und Jurist, lebt in Preßbaum bei Wien.