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Jede gesetzliche Verschwiegenheitspflicht hindert den Schweigepflichtigen, mit den geheimzuhaltenden Informationen so umzugehen, wie er das möchte. Er kann dadurch daran gehindert werden, seine Meinung zu äußern und dabei auch die Informationen mitzuteilen, auf die sich seine Meinung stützt. Andere wiederum sind daran gehindert, sich eine Meinung zu bilden, weil jene, die über die entsprechenden Informationen verfügen, zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.
Die "Freiheit der Meinungsäußerung" ist in Artikel 10 der Menschenrechtskonvention (MRK) geregelt. Jedermann / Jedefrau hat danach Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht, so die MRK, schließt folgende Aspekte der Meinungsfreiheit ein:
Alle diese Punkte berühren die Tätigkeit politischer Mandatar/innen unmittelbar. Eine Einschränkung dieser Freiheiten - etwa auch durch Verschwiegenheitspflichten - ist nach der MRK nicht grundsätzlich ausgeschlossen, doch gelten dafür strenge Voraussetzungen:
Die Ausübung der Meinungsfreiheit kann nur durch ein Gesetz "Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen" unterworfen werden. Beabsichtigt der Gesetzgeber die Erlassung von Regelungen, die die Meinungsfreiheit einschränken, so hat er zunächst die Zulässigkeit solcher Regelungen nach der Menschenrechtskonvention zu prüfen. Grundsätzlich gilt, dass nur solche Einschränkungen erlassen werden dürfen, die notwendig sein, um bestimmte Interessen oder Werte zu schützen. Diese sind in der MRK ausdrücklich und erschöpfend aufgezählt. Es handelt sich dabei um
In jedem Fall aber gilt: Es dürfen nur solche Einschränkungen erlassen werden, "wie sie in einer demokratischen Gesellschaft unentbehrlich sind", um die genannten Interessen und Werte zu schützen. In seiner Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGM) dieses Kriterium als "zwingendes soziales Bedürfnis einer demokratischen Gesellschaft" beschrieben.
Am deutlichsten hat das der EGM im spektakulären Fall „Observer and Guardian vs. United Kingdom“ (Case nl.50/1990/241/312 vom 26.11.1991) klargelegt, in dem es um ein Verbot der Veröffentlichung von Auszügen aus dem Buch „Spycatcher“ des ehemaligen Geheimdienstagenten (MI5) Peter Wright ging. Für die Prüfung, ob das Veröffentlichungsverbot die Meinungsäußerungsfreiheit verletzt hat, stellte der Gerichtshof dabei folgende Schrittfolge auf. Grundraster der Prüfung sind die drei Fragen ob – erstens – die Einschränkung durch ein Gesetz erfolgt (und damit insbesondere vorhersehbar ist), zweitens, ob die Einschränkung ein berechtigtes Ziel verfolgt (siehe die oben aufgezählten Interessen), und – drittens, ob die gesetzliche und ein berechtigtes Ziel verfolgende Einschränkung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, um dieses Ziel zu erreichen bzw. dieses Interesse zu schützen. Zur Prüfung dieses dritten Aspekts hat der Gerichtshof ein eigenes Feinraster entwickelt mit folgenden zwei Fragen: Sind die für die Einschränkung vorgebrachten Gründe relevant aus der Sicht des zu schützenden Interessens und sind die Gründe ausreichend, um die Einschränkung zu rechtfertigen? Sind die getroffenen Maßnahmen verhältnismäßig in Abwägung zwischen dem Recht der Mitteilung und des Empfangs von Nachrichten und dem zu schützenden Interesse.
Für die Fragestellung dieser Untersuchung kann damit aus der Regelung der Meinungsäußerungsfreiheit in der EMRK folgendes Zwischenergebnis gewonnen werden: Sämtliche Verschwiegenheitspflichten, die von Mandatar/innen einzuhalten sind, können in ihrem Umfang nicht weiter reichen, als dies nach Artikel 10 Abs.2 der Europäischen Menschenrechtskonvention zulässig ist.
Hinsichtlich der Amtsverschwiegenheit hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass ihre gesetzliche Regelung im Bundes-Verfassungsgesetz den Anforderungen der EMRK entspricht. Damit ist aber auch klargestellt, dass bei der Auslegung der Amtsverschwiegenheit der Rahmen zu beachten ist, den die Menschenrechtskonvention an die Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit anlegt.