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Partizipation und demokratische Kontrolle


Von den Griechen stammt das Bild: Die Beherrschten sind die Flötenmacher, die Regierenden aber die Spieler (Aristoteles, Politik, 3.Buch, 1277b,25). Direkte Demokratie kann man auch so verstehen, dass zwischendurch die Beherrschten selber das Instrument in die Hand nehmen und den Ton angeben.

Direkte Demokratie ist am stärksten in den Gemeindevolksrechtegesetzen der Steiermark und des Burgenlands ausgeprägt, wo jeweils von den Bürger/innen auf Volksbefragungen und Volksabstimmungen erzwungen werden können. Die Volksabstimmung ist in den beiden Bundesländern als Veto-Referendum konstruiert: Eine bestimmte Anzahl von Bürger/innen (Stmk: 20%, Burgenland: 25%) kann erzwingen, dass gegen einen Beschluss des Gemeinderates eine Volksabstimmung durchgeführt wird, wobei die Frage an die Wähler/innen lautet: Soll der betreffende Beschluss in Kraft treten? Lautet die Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen auf Nein, so tritt der Beschluss nicht in Kraft (im Burgenland ist eine 40% Beteiligung erforderlich, um diese Wirkung zu erzielen).

Doch braucht es diese „harten“ Instrumente nicht, um spannende politische Fragen direktdemokratisch abzuhandeln. Die Rechtslage in Niederösterreichs Gemeinden ist auf den ersten Blick schlechter als in den beiden genannten Bundesländern, doch immerhin können 10% der Bürger/innen eine Volksbefragung erzwingen – und die kann trotz ihrer Unverbindlichkeit starke Wirkungen haben.

Beispiel St. Valentin: In der nö Gemeinde St. Valentin wurde ein Magna Engeneering Center angesiedelt. Für dieses Zentrum sollte die vorhandene Teststrecke ausgeweitet werden, wofür die Umwidmung des Herzograder Waldes erforderlich war. Ein klassisches Konfliktthema mit guten Gründen für beide Seiten: Hier Erholung und Ruhe für Menschen, die ein Haus im Grünen gebaut hatten und einen Verlust an Lebensqualität zu erwarten hatten, dort das gewichtige Arbeitsplatzargument.

Die Unterschriften für die Erzwingung der Volksbefragung waren schnell gesammelt und die Frage einfach und sachlich formuliert: „Soll die bestehende Flächenwidmung – Grünland/Forstwirtschaft und Grünland/Landwirtschaft – für das Gebiet Herzograder Wald erhalten bleiben?“

Es war klar, dass bei der gegebenen Ausgangslage – die im Gemeinderat vertretenen Parteien mit Ausnahme der Grünen unterstützten die Umwidmung – die Initiative Herzograder Wald (IHW) einen Kampf um Stimmen zu kämpfen hatte, einem Wahlkampf durchaus vergleichbar. Wie gesagt: Auf beiden Seiten gewichtige Argumente, Grund genug, eine offene Auseinandersetzung über diese wichtige Frage in der Entwicklung der Stadt St. Valentin anzugehen.

Die tatsächlichen Ereignisse im Gefolge der Einreichung der Unterschriften für die Volksbefragung waren jedoch einigermaßen erstaunlich:

Die Mehrheit des Gemeinderates gab sich keineswegs zufrieden damit, eine von einer Bürgerinitiative erzwungene Volksbefragung durchzuführen. Der Gemeinderat beschloss daher, selbst eine Volksbefragung anzuordnen und konfrontierte die Bürger/innen von St. Valentin zum selben Thema mit einer doch leicht abgewandelten Fragestellung: „Soll vorbehaltlich einer positiven Raumverträglichkeitsprüfung und entsprechender Ersatzaufforstungen, ein Teil des Herzograder Waldes zur Erweiterung der bestehenden Prüfstrecke umgewidmet werden?

Die Raumverträglichkeitsprüfung wurde bei jenem Ortsplaner in Auftrag gegeben, der vor und nach der Volksbefragung mit der Gemeinde in geschäftlicher Verbindung war. Die Fa. Magna schaltete sich massiv in die „Wählerinformation“ ein und verschickte einen doppelseitigen Folder an alle Haushalte, in dem Gemeindearzt, Apotheker und die örtliche Sportelite heftig für die Teststrecke Stellung nahmen. Für Vereinsobleute wurde eine Einladung in die Firma organisiert, die auch eine Einladung zum Essen beinhaltete. In den lokalen Medien wurden Anzeigen geschaltet – und um auch noch den letzten Zweifler zu überzeugen, wurde der Stimmzettel für die von der Gemeinde beschlossene Volksbefragung auf grünes Papier gedruckt, der Stimmzettel für die von der Bürgerinitiative erzwungene Volksbefragung auf weisses. Das Ergebnis war vorhersehbar: 73% stimmten der Volksbefragung der Gemeinde zu (pro Teststrecke), und 33% der Volksbefragung der Bürgerinitiative (einige waren offenbar für beides).

Das Beispiel Valentin zeigt: Wir brauchen nicht mehr oder bessere Instrumente der direkten Demokratie, wir brauchen eine Politik, die sich mit Anliegen der Bürger/innen offen und fair auseinandersetzt – und das heißt keineswegs immer nur zustimmend: Politik kann nicht immer bürgernah sein, wenn Entscheidungen anstehen, ist Distanz durchaus angebracht. Doch Politik kann fair sein und Auseinandersetzungen mit engagierten Bürger/innen offen austragen. Im konkreten Fall hätte das geheißen: Gleichwertige Informationsmöglichkeiten für beide Seiten, Verzicht auf das Ausspielen der finanziellen Übermacht, offene Diskussionsveranstaltungen – und vor allem: Verzicht darauf, zum selben Thema eine eigene Volksbefragung durchzuführen.

Umgekehrt ist St. Valentin auch ein erfreuliches Beispiel für Mut und Engagement von Menschen, die sich offen und entschieden für ihre Anliegen einsetzen, auch angesichts mächtiger Gegner.

Nachbemerkung: Über die Sommerakademie der Grünen Bildungswerkstatt wird ein Buch veröffentlicht werden. Erscheinungsdatum noch unbekannt, Informationen dazu finden Sie auf diesen Seiten.